Alkoholhaltige Handdesinfektionsmittel in Zeiten von COVID-19: Rechtliche Situation in der EU

Infolge der COVID-19-Pandemie sind europaweit in zunehmender Zahl Desinfektionsmittel verschiedener Art, z.B. Waschgele, Lotionen, Seifen und ähnliche Produkte neu auf den Markt gekommen. Es wird erwartet, dass die öffentliche Nachfrage während der “zweiten Welle”, die sich höchstwahrscheinlich über den Herbst und den kommenden Winter fortsetzen wird, noch weiter ansteigt.

Kosmetisches Mittel oder Biozidprodukt?

Handdesinfektionsmittel auf der Basis des Wirkstoffes Ethanol wurden schon lange vor der Pandemie von vielen Herstellern als Biozidprodukte gemäß den Anforderungen der EU-Biozid-Verordnung 528/2012[1] vermarktet.

Seit Beginn der Pandemie Anfang 2020 wurden viele Produkte dieser Art über das Cosmetic Product Notification Portal (CPNP) notifiziert und als kosmetische Produkte gemäß der EU Kosmetikverordnung 1223/2009[2] in Verkehr gebracht.

Eine Frage der Definition

Die Begriffsbestimmung für kosmetische Mittel gemäß Artikel 2 der EU-Kosmetikverordnung schließt Reinigung als kosmetische Zweckbestimmung ein. Die Begriffsbestimmung für Biozidprodukte dagegen legt dar, dass Biozidprodukte dazu bestimmt sind, (…) auf andere Art als durch bloße physikalische oder mechanische Einwirkung Schadorganismen zu zerstören, abzuschrecken, unschädlich zu machen, ihre Wirkung zu verhindern oder sie in anderer Weise zu bekämpfen (Artikel 3 der EU-Biozidverordnung).

Eine entsprechend hohe Konzentration an Ethanol (die zudem häufig auf dem Etikett ausgelobt wird) sollte das Produkt daher klar der Zweckbestimmung zur zerstörenden Wirkung auf Schadorganismen zuordnen lassen – auch dann, wenn klare Werbeaussagen für Biozide, z.B. “Tötet 99,9% der Keime” usw., bei der Produktkennzeichnung vermieden werden.

Was bedeutet Reinigung?

Darüber hinaus ist nach der Detergenzienverordnung 648/2004[3] unter Reinigung das Verfahren zu verstehen, durch das eine unerwünschte Ablagerung von einem Substrat oder aus einem Substrat entfernt und in einen gelösten oder dispergierten Zustand gebracht wird. Die bestimmungsgemäße Verwendung von alkoholischen Waschgelen umfasst keine zu lösenden Ablagerungen (da das Produkt auf der Haut verbleibt) und erfüllt daher nicht die Reinigungsfunktion im Sinne der oben genannten Verordnung. Damit lassen sich die Produkte definitionsgemäß nicht mehr dem Geltungsbereich der Begriffsbestimmung für kosmetische Mittel zuordnen.

Die Situation bleibt unklar

Gemäß der oben genannten Aspekte und der allgemeinen Verkehrsauffassung alkoholischer Handgele sollte die Einstufung als Biozidprodukt die einzig anwendbare im Sinne der geltenden EU-Gesetzgebung sein. Handgele mit Alkoholgehalten von deutlich über 70% können daher per Definition nicht als kosmetische Produkte betrachtet werden.

Selbstverständlich müssen die Produkte nach wie vor separat und unter Berücksichtigung aller Charakteristika, inklusive ihrer Präsentation, begutachtet werden. Die offiziellen Stellungnahmen der Europäischen Kommission, einschließlich der derzeit geltenden Leitlinie für Grenzprodukte, lassen jedoch kaum eine andere Schlussfolgerung zu[4].

Es wird nichtsdestotrotz erwartet, dass während der fortdauernden Pandemie weitere Handgele als kosmetische Mittel im Sinne der EU-Kosmetikverordnung vermarktet werden. In Anbetracht der großen öffentlichen Nachfrage und möglicher Lieferengpässe könnte dies von vielen nationalen Behörden in EU-Mitgliedstaaten akzeptiert werden. Die entsprechenden Kriterien können jedoch in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich sein. Es sollte daher vorab geklärt werden, ob und wie Produkte in Verkehr gebracht werden können, insbesondere unter Berücksichtigung von Werbeaussagen.

Vereinfachte Zulassungsverfahren für Biozide

Je nach genauer Zusammensetzung und Verwendungszweck können unterschiedliche Zulassungsverfahren für Biozidprodukte auf EU- und nationaler Ebene anwendbar sein. Während der Pandemie haben viele EU-Mitgliedstaaten ihre nationalen Verfahren vereinfacht. So hat zum Beispiel die zuständige Behörde in Deutschland (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, BAUA) eine Allgemeinverfügung über die Zulassung (…) ethanolhaltiger Biozidprodukte (…) veröffentlicht[5]. Diese Allgemeinverfügung erfolgte gemäß Artikel 55 der EU-Biozidverordnung und wurde erst kürzlich bis April 2021 verlängert. Unbeschadet der nationalen Regelungen zur Zulassung von Biozidprodukten gelten für alle EU-Mitgliedstaaten die gesetzlichen Anforderungen gemäß der EU-Biozidverordnung.

[1] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=CELEX%3A32012R0528

[2] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/de/ALL/?uri=CELEX:32009R1223

[3] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02004R0648-20150601&from=EN

[4] https://ec.europa.eu/growth/sectors/cosmetics/products/borderline-products_en

[5] https://www.baua.de/DE/Angebote/Aktuelles/Meldungen/2020/pdf/Allgemeinverfuegung-Haendedesinfektion-neu.pdf?__blob=publicationFile&v=2

 

Der obige Artikel basiert auf der Rechtslage in der Europäischen Union zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung und dient nur zu Informationszwecken. Er ersetzt keine professionelle Rechtsberatung im Vorfeld von Handlungen gemäß den in diesem Artikel erwähnten Vorschriften und Richtlinien.